Tensid
Tenside sind grenzflächenaktive Stoffe, also Substanzen, welche die Oberflächenspannung einer Flüssigkeit (i.d.R. Wasser) und die Grenzflächenspannung gegenüber anderen Flüssigkeiten sowie Festkörpern reduzieren. Damit haben sie einen großen Einfluss auf Grenzflächenkontakte aller Art und wirken sich auf Phänomene wie Benetzung, Mischbarkeit und Schaumbildung aus. Tenside kommen in der Natur, in Industrieprodukten für so gut wie alle Lebensbereiche sowie in vielen industriellen Hilfsstoffen vor.
Wie sind Tenside aufgebaut?
Tenside sind keine eigene Substanzklasse, sie können chemisch völlig unterschiedlich zusammengesetzt sein. Charakteristisch ist ein zweigeteilter Aufbau mit einem wasseraffinen (hydrophilen) und fett-/ölaffinen (hydrophoben/lipophilen) Bereich, d. h. Tenside sind amphiphil. Meistens ist der hydrophile Teil klein und kurzkettig und der hydrophobe Teil langkettig, weshalb von einem „Kopf“ und einem „Schwanz“ des Moleküls gesprochen wird. Tatsächlich gilt dieses Größenverhältnis nicht für alle Tenside, die hydrophile Gruppe kann ebenfalls langkettig sein.
Warum reduzieren Tenside die Oberflächenspannung und Grenzflächenspannung?
Die Oberflächenspannung entsteht durch die Anziehungskraft (Kohäsion) zwischen den Molekülen einer Flüssigkeit. An der Oberfläche wirkt diese Kraft nicht in alle Richtungen und das führt zu einer Spannung entlang der Oberfläche. Bei Öl-Wasser-Grenzflächen verhält es sich ähnlich, weil die Anziehungskraft zwischen den Phasen (Adhäsion) schwach ausgeprägt ist.
Der chemisch zweigeteilte Aufbau der Tenside führt zu einem bevorzugten Aufenthalt an der Grenzfläche, wo sie sich anreichern. Dabei richtet sich der hydrophile Kopf zur Volumenphase des Wassers und der hydrophobe Schwanz nach außen bzw. orientiert sich bei Zweiphasensystemen hin zur Ölphase. Die Tensidmoleküle verdrängen die Wassermoleküle von der Oberfläche, wodurch die Kohäsion dort schwächer wird – und damit die Oberflächenspannung.
Wie hängt die Oberflächenspannung von der Tensidkonzentration ab?
Mit zunehmender Belegung der Oberfläche durch Tenside sinkt die Oberflächenspannung zunächst langsam und bis zum Sättigungspunkt immer schneller. Das hängt damit zusammen, dass zu Beginn der Abstand zwischen den adsorbierten Molekülen zunächst noch groß ist und sich daher kaum intermolekulare Wechselwirkungen ausbilden. Der größte Abfall der Oberflächenspannung findet im Bereich fast vollständiger Sättigung statt und jede weitere Tensidadsorption wirkt sich besonders stark auf die Oberflächenspannung aus. In diesem Bereich verläuft die Abhängigkeit der Oberflächenspannung vom Logarithmus der Konzentration linear und mit der größten Steigung.
Ab einer bestimmten Konzentration in der Volumenphase ordnen sich die Tensidmoleküle zu Agglomeraten an, die als Mizellen bezeichnet werden. Da die Konzentration an freien Tensidmolekülen nicht weiter steigt, kommt es auch zu keiner weiteren Adsorption an der Oberfläche und die Oberflächenspannung sinkt nicht weiter. Der entsprechende Übergangsbereich wird als kritische Mizellkonzentration (CMC) bezeichnet – eine wichtige Kenngröße für Tenside. Mizellen sind für viele der nützlichen Eigenschaften von Tensiden verantwortlich, z. B. für ihre Reinigungswirkung.
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Wofür werden Tenside verwendet?
Tenside treten in unzähligen Prozessen auf und sind Bestandteil einer großen Bandbreite industrieller Produkte. Je nach Verwendungszweck sind Tenside unter verschiedenen Bezeichnungen bekannt. Diese Namen sind keine Klassifizierung der Substanzen; ein und dasselbe Tensid kann verschiedene Funktionen einnehmen.
Detergentien (Wasch- und Reinigungsmittel)
Die Reinigungswirkung von Tensiden beruht auf zwei einander ergänzenden Effekten. Zum einen sorgt die verringerte Oberflächenspannung dafür, dass Wasser nicht abperlt, sondern Oberflächen besser benetzt und Textilien besser durchdringt. Zum anderen binden Mizellen Fette und Öle im Inneren und mobilisieren sie in der wässrigen Phase.
Emulgatoren
Emulsionen sind Gemische aus Öl und Wasser, die sich nicht sofort, sondern erst nach einiger Zeit und mitunter sehr langsam wieder auftrennen. Als Emulgatoren eingesetzt, verringern Tenside die Grenzflächenspannung und erleichtern so die Teilung einer Flüssigkeitsmenge in feinste Tröpfchen. Auch die Haltbarkeit wird verlängert, weil die Öl-Wasser-Grenzfläche der Tröpfchen durch Tensidmoleküle stabilisiert wird.
Netzmittel (Benetzungsmittel)
Überall dort, wo wässrige Lösungen sich gut auf festen Oberflächen ausbreiten müssen, werden Tenside als Netzmittel eingesetzt, z. B.
- In Druckfarben, Lacken und Tinten sowie Coatings aller Art
- In galvanischen Bädern oder Ätzbädern sowie bei der elektrolytischen Erzaufbereitung
- In Pflanzenschutzmitteln
- In Kühl-/Schmierstoffen für die maschinelle Fertigung
Dispergiermittel
Auch bei Pulverdispersionen wie Farben und Lacken sind Tenside Bestandteil vieler Formulierungen. Als Dispergiermittel verbessern sie die Pulverbenetzung und verhindern Klumpenbildung.
Schaumbildner
Die Bildung flüssiger Schäume ist ebenfalls eine Wirkung grenzflächenaktiver Eigenschaften von Tensiden. Ob als Badezusatz, zur Brandbekämpfung oder für Reinigungsschäume: Je nach gewünschten Produkteigenschaften sorgen geeignete Tenside als Schäumer für schnelle oder langsame Schaumbildung, für grob- oder feinporigen Schaum sowie für schnellen oder langsamen Zerfall.
Wie wird die Wirkung von Tensiden gemessen?
So vielfältig wie die Anwendungsbereiche von Tensiden sind die grenzflächenanalytischen Methoden, mit denen ihre Wirksamkeit untersucht wird.
▶ Lesen Sie zu diesem Thema auch unseren Use Case Tensidcharakterisierung.
Wie effizient und bis zu welchem Punkt Tenside die Oberflächenspannung verringern, wird meist mechanisch mit Kraft-Tensiometern erfasst, in der Regel mit der Ringmethode nach Du Noüy oder der Plattenmethode nach Wilhelmy. Die damit im Zusammenhang stehende Bestimmung der CMC (s. o.) erfolgt ebenfalls mit diesen Methoden.
▶ In unserem Videobeispiel sehen Sie, wie unerwünschte Tensidreste aus Reinigungsprozessen durch Messung der Oberflächenspannung nach Wilhelmy detektiert werden können.
Ring- und Plattenmethode werden auch für die Untersuchung von Zwei-Phasen-Grenzflächen genutzt, um die Effektivität von Emulgatoren zu bewerten. Alternativ kommen Messungen mit einem Spinning Drop Tensiometer in Frage, das insbesondere für die Erfassung sehr kleiner Grenzflächenspannungen genutzt wird.
Festkörperbenetzung
Wie gut ein Netzmittel wirkt, lässt sich anhand von Kontaktwinkelmessungen bestimmen. Dabei wird ein Tropfen auf das Substrat dosiert und dessen „Rundheit“ quantifiziert.
Dispergierbarkeit
Die Sorptionsmethode nach Washburn gibt den Kontaktwinkel und damit die Benetzbarkeit eines Pulvers wieder und dient somit der Formulierung stabiler Pulverdispersionen.
▶ Erfahren Sie in unserem Applikationsbericht AR293, wie Pulverbenetzung mit der Methode Washburn Direct zuverlässig bestimmt werden kann.
Schaumbildung
Zeitabhängige Messungen der durch Aufsprudeln oder Rühren entstehenden Schaummenge, der Zerfallsdynamik, der Blasenstruktur sowie des Flüssigkeitsgehalts ergeben ein vollständiges Bild der Wirksamkeit von Schaumbildnern und der Eigenschaften des gebildeten Schaums.
▶ Lesen Sie auch unseren Applikationsbericht AR279 zur Schaumcharakterisierung von Zahnpastaformulierungen.
Welche Arten von Tensiden gibt es und wofür werden sie verwendet?
Tenside werden nach der Beschaffenheit der hydrophilen Gruppe kategorisiert:
- Anionische Tenside: Verbindungen mit einer anionischen Gruppe (z. B. Carboxylate oder Sulfonate), oft als Alkalimetallsalz. Gute Schaumbildner und Reinigungsmittel, gut geeignet für lösungsmittelfreies Entfetten; häufig auch als Netzmittel zur starken Reduktion der Oberflächenspannung verwendet.
- Kationische Tenside: Verbindungen mit einer kationischen Gruppe, z.B. quartäre Amine. Gute Adsorptionseigenschaften, z. B. an Haaren und Textilfasern, weshalb sie in Weichspülern vorkommen. Außerdem antistatisch und bakterizid.
- Nichtionische Tenside: Verbindungen mit nichtionischen, polaren Gruppen wie Alkohol, Ether oder Ethoxylat. Für schaumarme Anwendungen sowie zur Emulsionsbildung; anders als anionische Tenside unempfindlich gegen Wasserhärte.
- Amphotere Tenside (auch als zwitterionische Tenside bezeichnet): Verbindungen mit einer anionischen und einer kationischen Gruppe; häufig Carboxylat- und quartäre Amingruppe. Besonders hautverträglich und gut mit anderen Tensiden kombinierbar, außerdem wirksam als Netzmittel und Emulgatoren.
Wie schnell wirken Tenside und was bedeutet diese Frage für dynamische Prozesse?
Tensidmoleküle senken die Oberflächenspannung nicht schlagartig. Sie benötigen Zeit für die Bewegung zur Oberfläche (Diffusion) und für die dortige Adsorption; die jeweilige Geschwindigkeit wird durch den Diffusionskoeffizienten und den Adsorptionskoeffizienten beschrieben. Neben äußeren Gegebenheiten wie Temperatur oder Konzentration hängen diese Geschwindigkeiten von der Größe und räumlichen Struktur der Tensidmoleküle ab.
▶ Lesen Sie zum wissenschaftlichen Hintergrund unsere Glossarartikel Diffusionskoeffizient und Adsorptionskoeffizient.
Dass die Änderung der Oberflächenspannung zeitabhängig ist, hat große Auswirkungen auf dynamische Prozesse, bei denen ständig neue Oberflächen entstehen. Zum Beispiel vergehen beim Sprühen von Lacken oder Pestiziden nur Millisekunden zwischen der Entstehung neuer Tröpfchenoberflächen und dem Kontakt mit dem Material. Bei einem zu langsamen Tensid ist die Oberflächenspannung zu diesem Zeitpunkt möglicherweise noch zu hoch und die Benetzung schlecht.
Um den Einfluss des Zeitfaktors zu quantifizieren, werden Messungen der dynamischen Oberflächenspannung mit einem Blasendrucktensiometer durchgeführt. Die Messung zeichnet den Verlauf der Oberflächenspannung in Abhängigkeit vom Oberflächenalter auf und charakterisiert so das dynamische Verhalten eines Tensids in Lösung.
Ist die Wirkung von Tensiden auf wässrige Lösungen beschränkt?
Die meisten Tensidanwendungen richten sich auf wässrige Systeme oder die Wasser-Öl-Phasengrenzen. Als amphiphile Moleküle lösen sich viele Tenside jedoch auch in unpolaren, organischen Flüssigkeiten. Hier können sich inverse Mizellen bilden, bei denen der hydrophile Teil ins Innere des Agglomerats gerichtet ist und polare Stoffe binden kann. Ein Beispiel dafür ist überkritisches Kohlendioxid für Extraktionsprozesse, das mithilfe von Tensiden auch polare Substanzen lösen kann.