
Jenseits von Cross Hatch: Die Stood-up Drop® Technik als neuer Weg zur Beurteilung der Beschichtungshaftung
Korrelation des Entnetzungswinkels mit Testergebnissen nach ISO2409:2020
Autoren: Andrew Mellor (KRÜSS), Petra Della Valentina (BYK), Dennis Winkler (Plasmatreat GmbH)
Die Kontaktwinkelmessung gehört zum Werkzeugkasten eines jeden Coatingspezialisten für die Quantifizierung der Benetzbarkeit, der (Wieder-)Beschichtbarkeit, des Auftretens von Defekten, der Reinheit und weitere Eigenschaften [1]. Seit langem werden große Anstrengungen unternommen, um die Beziehung zwischen Kontaktwinkel und Haftung zu bestimmen. Das funktioniert für einige Systeme gut, für andere jedoch überhaupt nicht. Deshalb wird der Kontaktwinkel oft durch zerstörende Methoden unterstützt – oder ersetzt –, deren bekannteste Cross Hatch/Gitterschnitt (Band) und Abziehversuche (Dolly) sind [2]. Obwohl solche Prüfungen in vielen Branchen wie der Automobil-, Luft- und Raumfahrt-, Elektronik-, Schifffahrts- oder Verpackungsindustrie verwendet werden, sind sie aufgrund der Subjektivität, nötiger Fachkenntnisse, mangelnder Quantifizierung der Ergebnisse und der Messdauer (meist 24 bis 48 Stunden, je nach Aushärtungszeit) nicht ideal [3].
In dieser Studie zeigen wir, wie wichtig es ist, den am besten geeigneten Kontaktwinkeltyp für die Beurteilung der Haftung zu wählen. Konkret ist die neue KRÜSS Stood-up Drop® Methode zur Messung der Entnetzung, geeignet, um die Haftung einer Beschichtung auf verschiedenen Substraten schnell und zuverlässig vorhersagen.
Hintergrund
Benetzung und Entnetzung
Landläufig wird angenommen, dass sich Benetzung (wetting) und Entnetzung (dewetting) als entgegen-gesetzte Vorgänge symmetrische verhalten. Die Differenz zwischen den maßgeblichen Fortschreit- und Rückzugs Kontaktwinkeln (Kontaktwinkel-hysterese), ist jedoch ein Beweis für das Gegenteil (siehe Abb.1). Zwar weist in der Theorie eine atomar ebene, chemisch homogene Oberfläche symmetri-sche Benetzung/Entnetzung auf; aber in der Realität sind solche Bedingungen selten. Bei der Wasserbenetzung realer Oberflächen wirken hydrophobe Elemente als Barriere für das Fortschreiten der Kontaktlinie und der Kontaktwinkel vergrößert sich (s. Abb. 1, links).
Umgekehrt wirken bei der Entnetzung hydrophile Bereiche als Barriere für den Rückzug der Kontaktlinie, was den Kontaktwinkel des Wassers verringert (s. Abb. 1, rechts). Die unterschiedliche Chemie von hydrophoben und hydrophilen Gruppen ist also eine der Ursachen für Hysterese. Bei der Nutzung von Kontaktwinkeln ist daher zu prüfen, ob die zu untersuchende Eigenschaft am besten durch Benetzung oder Entnetzung beschrieben wird.

Erfassung der Benetzung und Entnetzung mit Kontaktwinkeln
Bei einer herkömmlichen Kontaktwinkelmessung wird ein Tropfen aufgebracht und ausgebreitet, bis er seine Gleichgewichtsform erreicht hat. Diese Form wird durch Messung des Winkels zwischen Flüssigkeit und Festkörper am Dreiphasenpunkt quantifiziert. Da der Tropfen in Ruhe gemessen wird, nachdem er sich ausgebreitet hat, wird dieser Wert treffend Fortschreitabschlusswinkel (recently advanced contact angle; RACA) genannt. Die oft verwendete Bezeichnung „statischer Kontaktwinkel“ ist nicht zielführend, denn sie sagt nichts über die „Vorgeschichte“ des Tropfens aus.
Wie die fortschreitenden Kontaktwinkel (gemessen an expandierenden oder sich bewegenden Tropfen) korrelieren die RACAs gut mit benetzungsabhängigen Phänomenen wie Beschichtbarkeit, Dispergier¬barkeit oder Absorptionsfähigkeit. Andererseits werden mit der Entnetzung zusammenhängende Aspekte wie Adhäsion, Abrollen oder "Kriechen" am besten durch so genannte recently receded contact angles (RRCAs) charakterisiert. Bei diesen werden Tropfen in Ruhe gemessen, nachdem sie sich von der Oberfläche zurückgezogen haben (receded). Der Klarheit halber werden die RACAs und RRCAs im Folgenden als Benetzungs- bzw. Entnetzungswinkel bezeichnet.
Während Benetzungswinkel mit herkömmlichen Kontaktwinkelgeräten leicht zu messen sind, erweisen sich Entnetzungswinkel als wesentlich schwieriger. Dynamische Rückzugskontaktwinkel sind die am häufigsten verwendete Methode zur Simulation der Entnetzung. Aufgrund der relativen Komplexität und des hohen Zeitaufwands solcher Messungen werden sie jedoch selten eingesetzt [4, 5]. In der Tat können dynamische Messungen mehrere Stunden in Anspruch nehmen und liefern in oft keine zuverlässigen Ergebnisse [4, 5]. Der Stood-up Drop wurde entwickelt, um Messungen des Entnetzungswinkels drastisch zu beschleunigen und benutzerunabhängige Ergebnisse zu gewährleisten.
Diese Studie klärt den Zusammenhang zwischen den verschiedenen Kontaktwinkeln und der Adhäsionsleistung durch Prüfung mehrerer Systeme:
1. Lösungsmittelhaltiger Klarlack auf vier Metallsubstraten
2. Lösungsmittelhaltiger Klarlack auf vier Polymersubstraten
3. 2K-Decklack auf Wasserbasis auf plasma-aktiviertem Polypropylen
4. Melamin-Klarlack auf Polyester-Basislack (mit BYK-SILCLEAN 3700 als Additiv)
Weitere fünf Systeme wurden getestet, deren Ergebnisse der Kürze halber nicht erläutert werden. Tabelle 1 am Ende des Abschnitts „Ergebnisse“. Zeigt eine Übersicht über alle neun Systeme.
Experimenteller Teil
Messungen des Benetzungs- und Entnetzungswinkels
Alle Kontaktwinkelmessungen wurden mit doppelt destilliertem Reinstwasser mit einem KRÜSS DSA100 Kontaktwinkelmessinstrument durchgeführt. Jeder angegebene Kontaktwinkel gibt den Mittelwert von mindestens 10 Wiederholungsmessungen wieder.
Der Benetzungswinkel wurde mit einer KRÜSS Liquid Needle gemessen. Bei dieser Methode wird mittels Druckdosierung ein größerer Tropfen erzeugt (in dieser Studie 2 µL), wobei die Dynamik so eingestellt ist, dass nach der Dosierung kein Rückzug erfolgt, d.h. keine Entnetzung stattfindet. [6]
Der KRÜSS Stood-up Drop basiert ebenfalls auf Druckdosierung, nutzt aber ein genau entgegengesetztes Prinzip: Er appliziert einen kleinen Tropfen (in dieser Studie 0,4 µL) mit hoher Dynamik auf die Probe, sodass er sich zunächst flach ausbreitet und dann in Sekundenbruchteilen aufgrund der Oberflächenspannung zusammen-zieht. Auf diese Weise wird die Entnetzung absichtlich herbeigeführt (siehe Abb. 2).

Proben und Probenvorbereitung
Beschichtungen, Substrate und Additive wurden von BYK zur Verfügung gestellt. Adhäsionstests wurden mit einem BYK-Gardner Gitterschnitt-Adhäsionstest-Kit gemäß ISO2409:2020 durchgeführt, wobei 0 das höchste messbare Adhäsionsniveau und 5 das niedrigste darstellt [2].
Die atmosphärische Plasmaaktivierung fand mittels eines Generators (FG5001S), einer Steuereinheit (PCU-M), einer Rotationsdüse (RD1004) und eines Düsenkopfs (22826, 14°) der Plasmatreat GmbH statt. Die Prozessparameter, einschließlich Verweil-zeit, Plasmaleistung und Abstand zwischen Düse und Substrat, wurden systematisch variiert, um die Plasmaleistung zu kontrollieren.
Ergebnisse
Verschiedene Polymersubstrate
In einer ersten Testreihe wurden die Benetzungs- und Entnetzungswinkel von Wassertropfen auf PP-, PMMA-, ABS- und PP-Substraten gemessen. Anschließend wurde ein lösemittelhaltiger Klarlack (Setal 1715) auf jedes Substrat aufgetragen und 48 Stunden lang ausgehärtet. Die Haftung des Klarlacks auf jedem Substrat wurde mit dem Klebebandtest geprüft und mit den Benetzungs- und Entnetzungswinkeln verglichen (siehe Abb. 4). Das Haftvermögen des Klarlacks variierte je nach Substrat stark und folgte dem Trend PA > PMMA > ABS > PP. Trotzdem wurde kein signifikanter Unterschied im Benetzungswinkel zwischen PA, PMMA und ABS festgestellt. Im Gegensatz dazu zeigten die Entnetzungswinkel eine klare (negative) Korrelation mit der Haftung und eine lineare Anpassung der Daten ergab ein Bestimmtheitsmaß R2 von 0,94. Der Wert R2 ist ein Maß für die Stärke der Korrelation mit 1 als Maximalwert.

Verschiedene Metallsubstrate
In einer zweiten Testreihe wurde derselbe lösungsmittelbasierte Klarlack (Setal 1715) auf eine Reihe von Metallsubstraten aufgetragen, nämlich normalisierter Stahl (N-Stahl), Zn-Stahl, Standard-Aluminium (Al) und hochreines Aluminium (Q-Panel Al). Vor der Beschichtung wurden die Benetzungs- und Entnetzungswinkel gemessen, und wie zuvor wurde der Klarlack vor der Durchführung der Klebebandtests 48 Stunden lang ausgehärtet. Standard-Al und Zn-Stahl zeigten ein ähnliches Haftungsverhalten (1 auf der ISO-Skala), ebenso wie hochreines Al und N-Stahl (2 auf der ISO-Skala). Auch hier waren Änderungen des Benetzungswinkels offenbar unabhängig von der Adhäsionsleistung, während der Entnetzungswinkel der Adhäsion gut folgte, wobei eine lineare Anpassung einen R2 von 0,85 ergab (siehe Abb. 4).

Unterschiedliche Plasmaaktivierungsparameter für PP
Anschließend wurden Benetzungs- und Entnetzungs¬messungen an PP-Substraten durchgeführt, nachdem sie atmosphärischem Plasma mit zunehmender Intensität ausgesetzt waren. Danach wurde auf jedes PP-Substrat ein 2K-Decklack auf Wasserbasis aufgetragen, und nach einer Aushärtungszeit von 48 Stunden wurde die Haftfähigkeit mittels Klebebandtest gemessen.
Mit zunehmender Plasmabestrahlung wurde eine deutliche Verbesserung der Haftfestigkeit festgestellt, und durch Variation der Plasma-intensität/Bestrahlungszeit wurde eine Reihe von Haftfestigkeitswerten erreicht (1, 2, 3 und 5 auf der ISO-Skala). In diesem Fall zeigten sowohl der Benetzungs- als auch der Entnetzungswinkel eine klare Korrelation mit der Adhäsionsleistung. Bei der linearen Anpassung weist der Entnetzungswinkel den höheren Wert für R2 von 0,98 (gegenüber 0,82 für den Benetzungswinkel) auf (siehe Abb. 5).

Verschiedene Basecoat-Formulierungen
In einer letzten Testreihe wurden Benetzungs- und Entnetzungswinkel an Proben eines gehärteten Polyester-Basislacks gemessen, der BYK SILCLEAN 3700 als Easy-to-clean-Additiv enthielt. Nach der Messung von Benetzungs- und Entnetzungswinkeln wurde ein Melamin-Klarlack aufgetragen und 48 Stunden lang ausgehärtet, bevor die Klebe-bandtests durchgeführt wurden. Mit zunehmender Additivkonzentration im Basislack wurde eine entsprechende Abnahme der Haftfestigkeit beob-achtet. Ähnlich wie bei den plasmaaktivierten PP-Proben korrelierten die Veränderungen der Benetzungs- und Entnetzungswinkel mit den Veränderungen der Haftleistung (siehe Abb. 6), wobei die Entnetzungswinkel einen hervorragenden Wert für R2 von >0,99 (gegenüber 0,85) ergaben.

Obwohl in diesem Fall eine Korrelation des Benetzungswinkels mit der Adhäsion beobachtet wurde, lag die Veränderung für die ersten drei Proben (0,025 %; 0,05 % und 0,1 %) nahezu innerhalb der Standardabweichungen. Im Gegensatz dazu zeigten die Entnetzungswinkel eine viel ausge¬prägtere Variation (~30°) über die gesamte Adhäsionsskala.
Zusätzliche Testreihen mit unterschiedlichen Materialien oder Behandlungen
Das oben beschriebene Verfahren wurde für fünf weitere Coating-/Substratsysteme wiederholt, wobei entweder die Plasmabestrahlung oder die Additiv-konzentration zur Veränderung der Adhäsion verwendet wurde. In den zusätzlichen Tests wurde eine Korrelation mit der Haftung sowohl für die Benetzungs- als auch für die Entnetzungswinkel beobachtet, mit der bemerkenswerten Ausnahme von plasmaaktiviertem ABS, wo die Benetzungs-winkel nicht mit der Haftung variierten. Bei ABS konnte durch die Plasmabestrahlung nur eine geringe Erhöhung der Adhäsion von ISO 1 auf ISO 0 erzielt werden. Die R2-Werte für diese Proben sind in der Tabelle nicht aufgeführt, da jeweils nur zwei Datenpunkte aufgezeichnet wurden.
Interessanterweise zeigten bei plasmaaktivierten PA-Substraten die Benetzungswinkel im Vergleich zu den Entnetzungswinkeln eine bessere oder gleichwertige Korrelation mit der Adhäsionsleistung.

Zusammenfassung
In dieser Arbeit wurde eine klare, robuste Korrelation zwischen Kontaktwinkel und Coating-Substrat¬Haftung für eine Reihe von Beschichtungs- und Substratbeschaffenheiten sowie für additiv modifizierte und plasmaaktivierte Substrate nachgewiesen.
In allen Fällen korrelieren die Entnetzungswinkel gut mit der Haftungsleistung, und bei sieben von neun getesteten Systemen ergaben die Entnetzungswinkel eine zuverlässigere Korrelation als die Benetzungswinkel.
Zur Veranschaulichung wurden lineare Anpassungen auf jeden Datensatz angewendet und die R2-Werte verglichen. Bei allen neun Systemen ergaben die Entnetzungswinkel einen durchschnittlichen R2 von 0,92, was auf eine sehr zuverlässige Korrelation hindeutet, während die Benetzungswinkel einen viel geringeren durchschnittlichen R2 von 0,70 ergaben. In vier von neun Testfällen korrelierten die Benetzungswinkel überhaupt nicht mit der Adhäsion. Dieses Ergebnis stimmt mit der allgemeinen Beobachtung überein, dass herkömmliche Benetzungsmessungen nur für einige Systeme eine Beurteilung der Adhäsion ermöglichen.
Der Bedarf an einer schnellen, objektiven, quantifizierbaren und einfach anzuwendenden Methode zur Bewertung der Adhäsionsleistung ist in vielen Branchen bekannt [7]. In dieser Arbeit hat sich gezeigt, dass die Anwendung der Stood-up-Drop-Methode zur Messung von Entnetzungswinkeln sehr vielversprechend ist, um die Abhängigkeit von zerstörenden Haftfestigkeitsprüfungen zu verringern. Da die absoluten Werte der Haftfestigkeit nicht aus den Entnetzungswinkeln ermittelt werden können, werden zerstörende Prüfungen wahrscheinlich weiterhin eine Rolle bei der abschließenden Bewertung der Beschichtungs-leistung spielen. Der Umfang der zerstörenden Prüfungen während der Formulierung und Fehlersuche kann durch diesen Ansatz jedoch erheblich reduziert werden.
Literatur
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[1] A. Marmur: Solid-surface characterization by wetting. Annu. Rev. Mater. Sci., 39(1), 2009, 473-489
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[2] Internationale Organisation für Normung. 2013. Anstrichstoffe und Lacke - Kreuzschraffurprüfung. ISO-Norm Nr. 2409:2020.
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[3] A. S. Maxwell: Review of test methods for coating adhesion. NPL-Bericht MATC (A)49, 2001.
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[4] T. Huhtamäki, X. Tian, J. T. Korhonen, R.H.A. Ras: Charakterisierung der Oberflächenbenetzung durch Kontaktwinkelmessungen. Nat. Protoc. 13, 2018, 1521-1538.
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[5] C. W. Extrand: Kontaktwinkel und ihre Hysterese als Maß für die Adhäsion zwischen Flüssigkeit und Festkörper. Langmuir, 18(21), 2002, 7991-7999.
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[6] M. Jin, R. Sanedrin, D. Frese, C. Scheithauer, Th. Willers: Ersetzen der festen Nadel durch eine flüssige bei der Messung von statischen und fortschreitenden Kontaktwinkeln. Colloid and Polymer Science 294(4), 657-665, DOI 10.1007/s00396-015-3823-1 (2016).
Eine Zusammenfassung dieses Artikels finden Sie in unserem Applikationsbericht AR278. -
[7] N. Inagaki, K. Narushima, T. Taki: Surface modification of polymers by plasma treatments for improving adhesion. Surf. Coat. Technol., 98(1-3), 1997, 1205-1210.
BYK® und BYK® SILCLEAN® sind eingetragene Warenzeichen der BYK Gruppe.
Wir danken BYK® und Plasmatreat für die erfolgreiche Zusammenarbeit in diesem Projekt.